Beißvorfall – ein Erfahrungsbericht
Beißvorfall – Erfahrungsbericht einer Betroffenen
Heute möchte ich gerne einen anonymisierten Erfahrungsbericht zu einem Beißvorfall einstellen.
Einer guten Bekannten die zwei Ortschaften weiter von uns wohnt, passierte das, was auch jedem anderen Hundehalter in Bayern, oder einem der anderen Bundesländer passieren kann.
Ein ernstzunehmender Beißvorfall, der über ritualisierte Kämpfe unter Artgenossen hinausgeht und deutliche Spuren hinterlässt.
- Welche Hilfestellungen bietet der Gesetzgeber?
- Was ist aktiv möglich zur Gefahrenminderung?
- Wie lassen sich erneute Beißvorfälle verhindern mit auffällig gewordenen Hunden?
Meine Bekannte wird täglich Opfer einer Gesetzgebung, die sich an teils unzeitgemäßen und unverbindlichen Gesetzestexten orientiert und wichtige Möglichkeiten versäumt.
Die pauschale Entscheidung seitens der Behörden wird zum laienhaften Disaster.
Trotz mehrmaligem Beißvorfall, entscheidet die Behörde weiter zuzuschauen.
Wie es auch in deinem Ort dazu kommen kann, erklärt der folgende Erfahrungsbericht.
Danke A. für Deine Schilderung.
Der Tag der alles veränderte
Der Beißvorfall ereignete sich bereits vor über einem Jahr.
Kurz vor 22 Uhr. Mitten im Ort.
Ein Schäferhund attackierte uns ohne Vorwarnung auf offener Straße.
Wir liefen die abendliche Pipirunde als ich ihn von der anderen Straßenseite mit eindeutigen Körpersignalen im gestreckten Galopp auf uns zurennen sah.
Von eins auf Trauma in 3 Sekunden
Er erwischte meinen mittelgroßen Hund nur am hinteren Rücken, weil ich es irgendwie schaffte ihn zwischen zwei eng parkende Autos zu drängen, um den Schäferhund mit meinem Körper, der Leine als Peitsche und lauten Rufen auf Distanz zu halten.
Aus heutiger Sicht wahnsinnig riskant, ich weiß, doch in so einer Situation handelt man ohne groß zu denken.
Der Besitzer kam in gleichgültigem Schritt und nahm den Schäferhund am Kettenwürger zurück.
Von mir hagelte es deutliche Worte.
Von ihm kam nichts. Kein Wort. Nur provozierende Blicke.
Fragen blieben unbeantwortet, bis heute.
Er stellte sich provokant in die Mitte der Straße und schaute uns sogar noch fixierend hinterher.
Da weiß man woran man ist…an einem echten Idioten.
Mit der Herausgabe der Personalien war bei diesem Mensch nicht zu rechnen.
Ich ging also nach Hause und rief sofort bei der Polizei an zur Halterermittlung.
Doch dazu später mehr…
Das Training
Mein Hund generalisiert Schäferhunde seit der Zeit.
Wer kann es ihm verdenken?
Damals noch mit blanker Panik, mittlerweile „nur“ noch mit Leinenaggression.
(Ich kann es einschätzen, ich bewegte mich eine Zeitlang selber in der Trainerszene.)
Immer wenn wir auf einen Schäferhund trafen (hier im Dorf gibt es 7, leider sind 3 davon verhaltensoriginell, die anderen sind nicht soweit sozialisiert und/oder klar in der Kommunikation, dass ich ein bewusstes Zusammentreffen für sinnvoll erachtet hätte), reagierte mein Hund.
Gegenkonditionierung über die Distanz haben wir mit Erfolg probiert, aber da wir hier keine Leinenpflicht haben, ist man eben stets der Möglichkeit ausgesetzt, dass dann doch mal ein „der Tut nix“ Kandidat vor einem steht und prollt. Man fängt im worstcase also von vorne an im Training, oder kann einen weiteren Strich auf der Seite der unnötigen Vorkommnisse machen.
Kam also als Dauerlösung nicht in Frage.
Um das Problem bewusster anzugehen, fuhren wir in den Hundepark.
Die Treffen der Hundeschule fanden damals immer im Hundepark statt und ich hatte den Park sehr positiv in Erinnerung.
Mittlerweile finden sie nicht mehr dort statt und ich erfuhr sehr bald warum.
Traumatherapie 1.0
Zu Beginn trafen wir uns also einmal pro Woche mit einigen Gassifreunden und wir liefen im Rudel.
Socialwalkmäßig, mit Rückhalt, sowohl für mich als auch für meinen Hund.
Das sorgte für Entspannung und hatte den Vorteil, dass ich so die „Stammgäste“ im Hundepark kennenlernen konnte, mit einer Vorabeinschätzung zum jeweiligen Hund.
Soweit so gut, allerdings trafen wir selten auf Hunde mit spitzen Ohren und der Optik eines Schäferhundes. Nur ein einziges Mal innerhalb eines Monats.
Das war natürlich zu wenig um etwas zu erreichen, ich hatte immer einen riesigen zeitlichen Aufwand dadurch.
Außer einem Kommentkampf mit einem prolligen Boxerrüden, nebst passendem Halterpendant war nichts mehr Lehrreiches zu verbuchen…und der Boxer ging eindeutig auf das Konto Negativerfahrung für meinen Hund, also verwarf ich die Option Hundepark wieder.
Mittlerweile laufen gefühlt zu viele verhaltensauffällige Hunde frei, als das ich da auf eine Rehabilitation meines Hundes hoffen kann – ohne das Thema das er hat zu verschlimmern.
Traumatherapie 2.0 ?
Stattdessen hielt ich Rücksprache mit der Hundeschule von damals.
Nein, in den Hundepark gehen wir schon lange nicht mehr.
Die Hundedichte von auffälligen Hunden sei dort enorm gestiegen.
Es blieben eventuell die Parkplätze der Hundestaffeln der näheren Umgebung um das Verhalten abzutrainieren.
War es das wert?
Wenn wir erneut auf den Schäferhund und sein mehr als auffälliges Herrchen hier im Ortsgebiet treffen, schützt uns das ja nicht vor einem erneuten Angriff.
Es musste also eine Alternative her.
Denn hier herrscht nun mal keine Leinenpflicht.
Meideverhalten
Die Entscheidung fiel aus Angst, bzw. mit Weitblick in Bezug auf die Gesetzeslage.
Ich wollte uns nicht mehr der Gefahr von Hund und Halter aussetzen.
Ich wählte also etwas, das ich wenn möglich komplett als Option für mich bzw. meinen Hund ablehne – den schlechten Kompromiss.
Beim Abwehren des 45 kg Klotzes, blieb zumindest bei mir ein psychisches Trauma zurück, das möchte ich hier gar nicht verheimlichen, das war eine krasse Situation damals und auch das spielte eine Rolle.
Man sieht einen Schäferhund im gestreckten Sprint ohne Stop auf einen zurennen und weiß, was im nächsten Moment geschieht.
Man hat nur wenige Sekunden Zeit das Richtige zu tun und ich bin heute noch dankbar, dass ich es geschafft habe.
Die tägliche Unsicherheit, die man im Kackatütchen mit sich herumträgt, kommt noch hinzu.
Man kann sich keine Sekunde mehr frei bewegen, da die Gefährdungssituation immer zugegen ist für mich und das überträgt sich natürlich auch immer in bestimmtem Maße auf den Hund.
Der schlechte Kompromiss
Ich fuhr bzw. fahre seit damals jeden Tag 2km zum morgendlichen und nachmittäglichen Gassi, obwohl eine wunderschöne Spazierwegstrecke 200m vor meiner Haustüre liegt.
Von mir seither Schäferhundcounty genannt.
Ich traute mich einfach nicht mehr hin, denn es gibt hier keine Leinenpflicht.
Auch gehörte der Mann leider nicht zum Schlag Mensch, der seinen Hund umsichtig und verantwortungsvoll führt, sonst wäre der Vorfall ja garnicht erst geschehen.
Anzeige nach Beißvorfall
Wer sich jetzt fragt:
„Konnte die Polizei bei der Meldung des Beißvorfalls denn nichts ausrichten?“, der wird bitter enttäuscht.
Wir wohnen in Bayern.
Doch das ist generell alles gar nicht so einfach.
Trotz eines Übergriffs mit Beschädigungsabsicht, wird von den Behörden lediglich der Gesetzestext befolgt, anstatt fachliche Maßnahmen zur Überprüfung von Hund und Halter einzuleiten.
Was also tun?
Um überhaupt etwas zu erreichen, braucht man Zeugen.
Die hatte ich nicht.
An so etwas wie eine Speichelprobe, dachte ich damals nicht.
Die wird heutzutage auch oft vom Tierarzt eingesetzt habe ich mir sagen lassen.
Ich wusste noch nicht mal wo der Schäferhund wohnt, bzw. wer der Halter ist.
Deswegen rief ich damals am selben Abend bei der Polizei an und ließ den Vorfall protokollieren.
Anzeige gegen Unbekannt hatte ich nicht erstattet, da ich meinen Hund durch meine schnelle Reaktion vor mehr bewahren konnte.
Es blieb „nur“ das tiefsitzende Trauma der Attacke und oberflächliche Verletzungen.
Der Polizist der Hundestaffel erläuterte mir, dass sie ohnehin nichts machen könnten.
Da ich alleinstehend bin und man mir Giftköder über das Tor werfen könne, sei es eine Überlegung wert, keine rechtlichen Schritte einzuleiten, mir fehlen die Beweise um weitere Schritte möglich zu machen.
Na dann…
Eigentlich Wahnsinn einen schadhaft beißenden Hund im Gemeindegebiet zu akzeptieren ohne zielführende Auflagen und einer Ursachenanalyse, aber hey, so ist es offenbar in Deutschland
– heilig ist der Behördengang und das Landesrecht.
Halbwegs verständlich, wenn es nicht zu einem erneuten Vorfall gekommen wäre.
Der zweite Beißvorfall
Diesmal erwischte es nicht uns, sondern den Hund einer anderen Einwohnerin hier aus dem Ort.
Ich ließ mir die Attacke schildern.
Es lief haargenau so, nur waren diesmal keine schützenden Autos da.
Schäferhund sieht mittelgroßen Hund, ist unangeleint (bzw. riss sich los), geht ohne Vorwarnung in den Beißmodus, Hund muss diesmal jedoch umfangreich tierärztlich versorgt werden.
Glücklicherweise gab es diesmal Zeugen.
Die Polizei wird erneut eingeschaltet, das Veterinäramt wird informiert, hat jedoch keine Handhabe, es läuft über das Ordnungsamt der Gemeinde – IMMER und BUNDESWEIT.
Wichtiger Punkt – merken!
Dann fragen wir doch dort mal nach, dachte ich mir. Vielleicht wurden jetzt endlich Maßnahmen eingeleitet.
Beißvorfall mit Beschädigungsabsicht – offenbar Peanuts!
Mit ungläubiger Fassungslosigkeit beendete ich den Anruf beim hiesigen Ordnungsamt.
Nachdem ich von der Betroffenen gewusst hatte, dass der Fall dort zur Bearbeitung liegt, wollte ich unseren Vorfall von damals mit in die Waagschale legen, damit weitere Schritte eingeleitet werden können.
Immerhin war die Meldung der Polizei von damals existent, vielleicht könnte das mit dem zweiten Beißvorfall mit Beschädigungsabsicht reichen, um weitere Maßnahmen zur Überprüfung des Halters zu erzwingen.
Auch hatte ich den Schäferhund kürzlich dabei beobachtet, wie er auf das Fahrrad einer Frau mit Kleinkind stark reagierte und einen Satz in die Richtung machte.
Das sollte auch dringend versucht werden einzuordnen, z.B. über eine klassische Verhaltensananlyse eines Sachkundigen – einfach zur Sicherheit.
Überprüfung der Qualifikation des Halters?
Verhaltensanalyse durch eine sachkundige Hundetrainerin bzw.
einen sachkundigen Hundetrainer?
Pustekuchen.
Beißvorfälle mit kritischem Charakter sind offenbar vernachlässigbare Peanuts, solange der Hund nicht auf der (in Bayern noch immer existenten und umstrittenen) Rasseliste steht.
O-Ton des Beamten vom Ordnungsamt:
Um weitere Schritte einzuleiten, bedarf es mindestens drei Vorfällen, da man sonst nicht gesichert sagen könne, dass ein Problemverhalten vorliege.
Außer Leinenpflicht wurde nichts verordnet.
Das war´s!
Merke:
Es muss immer erst etwas passieren. Manchmal auch dreimal.
Es sind eben (aktuell) „nur“ Hunde betroffen.
Hoffen wir, dass es beim nächsten Mal kein Kleinhund wird oder gar ein Kleinkind.
Die Leine hält den Hund sicher nicht davon ab.
Fortsetzung folgt…mit bzw. ohne Sicherheit
Links zum Weiterlesen für Betroffene und Interessierte:
Gefahrenhundeverordnung der Bundesländer und Ergänzungen zu Maßnahmen
Link des Tierschutzbundes (PDF)
Generelle Auflagen in den Bundesländern
Link Kanzlei S. Beaucomp
Trotz der landesrechtlichen Bestimmungen kann das Ordnungsamt der betreffenden Gemeinde bzw. der betreffenden Stadt, eigene Hundeverordnungen erlassen, die Ländergesetzgebung wird aber meist 1:1 übernommen, da idR die nötige Fachkenntnis fehlt.